1. Was
ist Selbsterfahrung?
Selbsterfahrung oder die Eigentherapie bzw. Eigenanalyse bedeutet, sich in die Rolle des Patienten zu begeben, um sich selbst
mit allen Unzulänglichkeiten und Eigenarten in einer vertrauensvollen
Beziehung zu einem wohlwollenden Menschen (Psychotherapeuten) und
in einer gewährenden Atmosphäre zu erleben. Die Selbsterfahrung
kann als eine Einzel- oder Gruppenselbsterfahrung stattfinden. Sie findet am häufigsten als eine tiefenpsychologisch
fundierte Psychotherapie (abhängig von Umfang und
Tiefe der Erforschung des Unbewussten als sogenannte Psychotherapie
oder als Psychoanalyse) oder als eine Verhaltenstherapie statt.
Interessenten (Patienten, Manager, Personalfachleute, Kommunikationsspezialisten,
Ausbildungskandidaten etc.) kommen zu einer Selbsterfahrung oder
in eine psychotherapeutische Behandlung - auch wenn sie es nicht
immer am Anfang so sehen - weil sie an sich selbst leiden, an den
Eigenschaften des eigenen Wesens. Eine solche ungute Beziehung zu
sich selbst und zu den Anderen ist maßgeblich durch frühkindliche
Beziehungserfahrungen entstanden. In den darauffolgenden Lebensabschnitten
entsteht durch wiederholte Enttäuschungen häufig eher
eine Verschlechterung des seelischen Wohlbefindens als eine Besserung.
In der Selbsterfahrung geht es unter anderem:
- um einen besseren Zugang zu eigenen Gefühlen, zu eigener
Erlebnis- und Denkweise,
- darum die eigene und die Motivation des Anderen für das Tun
und das Nichtstun besser zu verstehen und
- die unbewussten Konflikte zu erleben und die Zusammenhänge
besser zu verstehen.
2. Für wen ist die Selbsterfahrung sinnvoll?
- Patienten mit seelischem Leiden
- Neugierige, die über sich und über die eigenen unbewussten
Mechanismen mehr erfahren wollen
- Menschen, die beruflich mit anderen Menschen emotional oder durch
Ihre Position involviert sind
- ärztliche Kandidaten in der Ausbildung zur Psychotherapeutin
bzw. zum Psychotherapeuten (Ärztin/Arzt für Psychosomatische
Medizin und Psychotherapie, Ärztin/Arzt für Psychiatrie
und Psychotherapie, Ärztin/Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie
und Psychotherapie, fachbezogene Psychotherapie, Zusatzbezeichnung
Psychoanalyse)
- psychologische und pädagogische Kandidaten in der Ausbildung
zur Psychotherapeutin bzw. zum Psychotherapeuten für Erwachsene
oder Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten
3. Wer trägt die Kosten?
Wenn die Selbsterfahrung als eine erfolgversprechende Behandlung
für einen Patienten angesehen wird, kann eine solche
Maßnahme durch eine/n dafür ausgebildete/n und zugelassene/n
Ärztin/Arzt oder Psychologin/Psychologen auf Kosten der Krankenversicherung (sowohl der gesetzlichen als auch der privaten Krankenversicherungen)
oder Berufsgenossenschaften durchgeführt werden. Im Gegensatz
zu den meisten Industrieländern ist diese Regelung im Sozialgesetzbuch
verankert.
Unabhängig vom Leidensdruck entsteht manchmal das Bedürfnis
nach einer solchen Selbsterfahrung, wenn man gewisse Wiederholungsmuster
in Beziehungen, im Privaten oder im Beruflichen beobachtet. Es handelt
sich hierbei um ein gesteigertes Interesse an sich selbst
und an unbewussten Prozessen, die im Rahmen einer Selbsterfahrung
bearbeitet werden können. Manche Menschen in leitenden Positionen,
die viel mit Personalführung zu tun haben, entscheiden sich
eine Selbsterfahrung zu machen, um sowohl sich als auch die Anderen
besser zu verstehen und so manche schwierige zwischenmenschliche
Spannungen zu lösen. In diesen Fällen trägt die Teilnehmerin
bzw. der Teilnehmer die Kosten selbst.
Ebenfalls tragen die Teilnehmer selbst die Kosten für eine solche Einzel- oder/und Gruppenselbsterfahrung, wenn sie die Selbsterfahrung im Rahmen einer ärztlichen Weiterbildung zum Zusatztitel „Psychotherapie“ und „Psychoanalyse“, zur/m Fachärztin/Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, zur/m Fachärztin/Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, zur/m Fachärztin/Facharzt für Kinder- und Jugendlichen Psychiatrie sowie die psychologischen bzw. pädagogischen Kandidaten in der Ausbildung zur Psychotherapeutin bzw. zum Psychotherapeuten machen.
4. Selbsterfahrung im Rahmen einer Weiterbildung
Selbsterfahrung ist der wichtigste Baustein jeder psychotherapeutischen Ausbildung unabhängig von der theoretischen Ausrichtung (tiefenpsychologisch
fundierte, analytische oder Verhaltenspsychotherapie). Diese soll
die theoretische Weiterbildung über einen längeren Zeitraum
begleiten und findet als eine Einzelpsychotherapie oder Gruppenpsychotherapie
statt. Es bedeutet, sich selbst emotional kennen zu lernen, sich
mit den eigenen Stärken und Ängsten in Bezug auf die eigene
Person und in Bezug auf die persönliche und fachliche Kompetenz
vertraut zu machen. Es gelingt im Laufe der Zeit viele dieser Ängste
und Unzugänglichkeiten abzubauen und mit manchen anderen umzugehen,
so dass diese in der Arzt-Patient-Beziehung und vor allem in der
psychotherapeutischen Arbeit nicht mehr hinderlich sind.
Die zentrale Arbeit in der Selbsterfahrung ist die Bewusstwerdung
und partielle Auflösung der eigenen unbewussten Abwehrmechanismen
sowie das Studium der Übertragung und der Gegenübertragung.
Nur dann ist es möglich, weitgehend Selbst-los dem Anderen
entgegen zu treten, dem Anderen einen emotionalen Raum anzubieten,
ohne im Anderen die eigenen ungelösten unbewussten Konflikte
verarbeiten oder verleugnen zu müssen. Dadurch kann sich der
Patienten öffnen und eine neuartige emotionale Erfahrung in
aller Vertrautheit erleben, ohne die Gefahr eingehen zu müssen,
emotional oder sogar körperlich missbraucht zu werden.
Neben der Einzelselbsterfahrung, Balintgruppen und Supervision biete ich ärztlichen und psychologischen Kolleginnen und Kollegen die Möglichkeit, an einer Selbsterfahrungsgruppe in Frankfurt oder in Rovinj teilzunehmen. Entsprechende Kurse finden als Gruppenselbsterfahrung in Blöcken von 3 oder 6 Tagen statt. Es handelt sich um geschlossene Gruppen, d.h. die Teilnehmer bleiben in einer geschlossenen Gruppe vom Anfang bis zum Ende der Selbsterfahrung und haben somit die Möglichkeit sich in einer tiefer Vertrautheit und Verbundenheit mit ihren innersten Gedanken, Gefühlen, Lebenserfahrungen und unbewussten Mechanismen miteinander zu erleben.
Diese prägende Erfahrung wird von vielen Teilnehmern, die schon Mal früher eine therapeutische Einzelselbsterfahrung (zum Teil jahrelang auch im hochfrequenten analytischen Setting) gemacht haben, am Ende der Gruppenselbsterfahrung als ein ganz besonderes Selbsterleben geschildert.
5. Ziele der Selbsterfahrung
Neben den schon von Freud postulierten Zielen der Selbsterfahrung
(die Lebens-, Liebes- und Arbeitsfähigkeit herzustellen) wird
von manchen Fachleuten auch die Spielfähigkeit als ein Ziel
der Selbsterfahrung und als eins der Ziele für ein erfülltes
Leben angesehen.
Man kann auch sagen, dass eins der Hauptziele der Selbsterfahrung
ist, zu erfahren und zu lernen, die eigenen Annahmen in
Frage zu stellen. Dadurch entwickelt sich eine
Offenheit und weitgehende Freiheit von Vorurteilen und Ressentiments,
die die Voraussetzungen für einen humanen und offenen Zugang
zu den Anderen und Andersartigen ist.
6. Bundesweite Anerkennung der Kurse und Seminare
Die hier angebotene Gruppenselbsterfahrung findet ausschließlich für ärztliche und psychologische Kolleginnen und Kollegen und somit für die zukünftigen Anwender der gruppenpsychotherapeutischen Arbeit und somit nicht für Patienten statt. Die Teilnehmer erlernen im Rahmen dieser Selbsterfahrung auch die Leitung eigener Patientengruppen.
Tiefenpsychologisch fundierte Einzel- und Gruppenselbsterfahrung sowie verhaltenstherapeutische Gruppenselbsterfahrung sind wie alle sonstigen hier angebotenen Weiterbildungskurse von Landesärztekammern sowie von den Psychologenkammern im gesamten Bundesgebiet anerkannt.
Links:
1. LÄK Hessen WBO 2005 – Richtlinien:
http://www.laekh.de/Fort--und- Weiterbildung/Weiterbildungsordnungen/Aerzte-Aerztliche-Weiterbildung-WBO-von-2005/Aerzte-Aerztliche-Weiterbildung-WBO-von-2005-Richtlinien/Fort-_und_Weiterbildung,cat391.htm
2. Institut für analytische Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie
in Hessen e.V.: http://www.ikjp.de/html/ausbildung.htm
|